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In Sehnsucht eingehüllt / Tagesspiegel Berlin

21.11.2005 | Selma starb mit 18 im Arbeitslager. Sie hinterließ Liebesgedichte. Jetzt haben Popstars sie entdeckt

Autor: Von Nana Heymann

Die Situation war ausweglos, die Hoffnung hatte Selma Meerbaum-Eisinger dennoch nicht ganz aufgegeben. Fliehen wollte sie aus dem deutschen Arbeitslager im ukrainischen Michailowksa, in das sie Anfang 1942 mit ihrer Familie deportiert wurde. Und als ob sie sich selbst hatte Mut machen wollen, brachte die junge Dichterin diesen Gedanken in ein paar Zeilen zu Papier. Eben dieses Papier wurde wenig später, im Dezember 1942, in der Tasche ihres Mantels gefunden. Selma war da bereits tot. Gestorben an Typhus. Gerade mal 18 Jahre alt.

57 Gedichte hat das jüdische Mädchen hinterlassen. Noch zu Lebzeiten fasste die Tochter eines Ladenbesitzers aus dem rumänischen Czernowitz ihre Zeilen zu einem handschriftlichen Band mit dem Titel „Blütenlese“ zusammen und widmete ihn ihrem Freund Lejser Fichmann. 60 Jahre später entdeckte der Schweizer Musiker und Komponist David Klein diese Gedichte, die zuerst 1968 in der DDR erschienen und 1980 vom Journalisten Jürgen Serke in der Bundesrepublik veröffentlicht wurden.

Fünf Jahre lang reiste David Klein mit seinem World Quintett durch Deutschland, um Eisingers Zeilen mit Pop-Größen wie Xavier Naidoo, Sarah Connor, Yvonne Catterfeld, Stefanie Kloß von Silbermond und vielen anderen zu vertonen. Zwölf Gedichte der jungen Poetin, die mit dem Lyriker Paul Celan verwandt war und den Dichter Rainer Maria Rilke verehrte, spielten sie für das Album ein. Am Sonnabend stellte Initiator David Klein „In Sehnsucht eingehüllt“ in Kreuzberg vor.

Der Abend solle „keine Betroffenheitsveranstaltung“ werden, denn das sei nicht im Sinne des lebenshungrigen Mädchens, sagt Klein zu Beginn des Konzerts, zu dem auch zwei Cousinen und eine Tante von Selma Meerbaum-Eisinger aus den USA angereist sind. Als dann Thomas D., Volkan Baydar, Inga Humpe, Hartmut Engler und Jasmin Tabatabai in Begleitung des World Quintetts und eines Sinfonieorchesters nacheinander auf der Bühne stehen, da überkommt es das Publikum bei den melancholisch eindringlichen Texten aber doch, das Gefühl der Betroffenheit – oder vielmehr: ein Gefühl der Ergriffenheit. Manch Zuschauer wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Gesicht, und auch Jasmin Tabatabei atmet vor ihrem Stück „Ich bin die Nacht“ tief durch, bevor sie ans Mikrofon tritt. Als das Konzert nach einer Stunde zu Ende ist, gibt es begeisterten Beifall und stehende Ovationen.

„Das war nicht so leicht“, sagt Inga Humpe und hat nach ihrem Auftritt noch immer feuchte Augen. „Ich glaube, man muss vorher schon ein paar Mal drüber geweint haben, um die Stücke dann wieder mit einer Klarheit den Menschen weitergeben zu können.“ Für die Berliner Elektropopperin von 2Raumwohnung war die Zusammenarbeit mit David Klein eine ganz neue Erfahrung: „Ich habe noch nie mit einem Orchester gesungen. Deshalb war das für mich besonders aufregend und ich war ganz nervös.“

Volkan Baydar vom Pop-Duo Orange Blue, hatte von Anfang an ein gutes Gefühl bei dem Projekt: „Es war mir eine große Ehre daran teil haben zu dürfen.“ Bei der Vertonung der Texte ginge es nicht darum, sich selbst darzustellen, sondern den Versen der Dichterin eine Stimme zu geben, die Zeilen so zu singen, wie es Selma vielleicht selbst empfunden hätte, sagt der Sänger.

Ähnlich sieht das Jasmin Tabatabei: „Man muss sich in den Dienst der Sache stellen, um dem gerecht zu werden.“ Die Schauspielerin gesteht, beim Hören der Lieder, die mal klassisch getragen instrumentiert, dann wieder in ein lebendiges Klezmer-Soundgewand gekleidet sind, jedes Mal aufs Neue berührt zu sein. „Es ist völlig unfassbar, wie man in dem Alter solche Texte schreiben kann - noch dazu, wenn man eigentlich Rumänin ist und sich die deutsche Sprache nur angeeignet hat“, sagt Tabatabei, deren Liedtext Selma Meerbaum-Eisinger im Alter von 15 Jahren schrieb. „Diese Arbeit hat großen Respekt erfordert“, sagt Volkan Baydar. Daran, dass das anspruchsvolle Album seine Hörer finden wird, hat er angesichts „der heutigen Zeit der Fast-Food Musik“ keine Zweifel.

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