David Klein

David Klein Ich bin vor ein paar Jahren auf die Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger gestossen. Die aussergewöhnliche Reife und Emotionalität, aber auch die einzigartige Musikalität ihrer Gedichte, haben mich sofort fasziniert und berührt. Für mich sind Ihre Gedanken heute genau so aktuell, wie zur Zeit ihres kurzen Lebens.

Daß die hoch begabte, lebenshungrige Selma einfach umgebracht und irgendwo verscharrt wurde und nur ganz wenige erfahren, daß sie gelebt, geliebt, gelacht und Gedichte von berückender Schönheit geschrieben hat, konnte und wollte ich nicht akzeptieren. Ich habe also beschlossen, Selmas Gedichte zu vertonen.
Ich habe mich intensiv durch die deutsche Gesangslandschaft gehört und eine Auswahl von Sängerinnen und Sängern aus verschiedenen Generationen getroffen, unabhängig davon, welche Stilrichtung sie vertreten.

Mit welchem Respekt und Einfühlungsvermögen sich die InterpretInnen in den Dienst der Gedichte gestellt und diese aus der Tiefe ihrer Seele interpretiert haben, war für mich eine große musikalische und menschliche Bereicherung.

Wir möchten Euch mit Selmas Gedichten, die voller Sehnsucht und Traurigkeit sind, aber auch voll von Liebe, Glück und Hoffnung, zurufen: Lebt, liebt und gebt nie auf!

Ein riesen Dankeschön und grösste Bewunderung gilt den Musikern und Komponisten, welche Selmas Texte zu neuem Leben erweckt haben:

Olivier Truan: Piano, Orchestrationen
Michael Heitzler: Klarinette
Ariel Zuckermann: Flöten
Daniel Fricker: Bass
Mino Cinelu: Congas, Djembe, Perkussion
Andy Pupato: Udu, Perkussion
Udai Mazumdar: Tablas
Daniel Wettstein: Sitar
Sujay Bobade: Bansuri
Michael Zismann: Bandoneon
Sinfonieorchester Basel unter der Leitung
von Ariel Zuckermann

Ebenso den Tonmeistern, die Selmas Lyrik akustisch erblühen liessen, allen voran Daniel Dettwiler (Ideeundklang und Volkshaus Studio), der wahre Klangwunder vollbracht hat und ohne dessen unermüdlichen Einsatz, unbestechliches musikalisches Gehör und ausgeprägte Feinsinnigkeit für Klang und künstlerische Performance, Selma nie hätte entstehen können.

Orchesteraufnahmen: Tobias Lehmann (Teldex Studio), Andrew Dudman (Abbey Road)

Auch die grafische Gestaltung von Denise Sprenger (Sprenger Grafikdesign) verdient grösstes Lob. Sie hat Selma in ihrer Essenz sichtbar gemacht.

Last but not least die Jungs von kubus media, allen voran Joscha van der Linden, die diese unglaubliche Website gezaubert haben.


Interview mit David Klein

Wie bist Du zum ersten mal auf die Gedichte von Selma Meerbaum- Eisinger gestoßen?

Ich habe vor einigen Jahren die Schauspielerin Anne Bennent am Fernsehen (Arte, was sonst...) über das Buch sprechen hören. Der Titel „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“ hat mich, als bekennender Romantiker, sofort angesprochen und ich habe mir das Buch gekauft.


Welche Emotionen / Gedanken haben die Gedichte in Dir ausgelöst?

Man findet in den Gedichten ja keinen Hinweis auf die Zeit, in der sie geschrieben wurden. Fragen sich nicht auch heute jede Nacht Millionen von Menschen, während sie von Disco zu Disco und von Partner zu Partner hetzen, auf ihrer Suche nach Liebe und einem Lebensinhalt: „Gehört die Nacht mir, oder ich, gehör’ ich ihr?“. Wie viele Kriege muss es noch geben, bis die Menschen „zu traurig“ sind, „um sich noch zu hassen.“? Haben wir nicht alle schon mit einem geliebten Menschen die „goldensten Lügen“ geträumt? Und sind da nicht trotz allem immer wieder „Sonnenstrahlen, welche scheinen, als ginge sie der Regen gar nichts an.“?

Deshalb wollen wir Selmas’ Gedichte auch nicht nur auf den historischen Hintergrund reduzieren, sondern sehen sie als zeitlose Texte eines jungen Mädchens, das sich Gedanken machte über die Liebe und das Glück, über Tod und Trauer, über Sehnsucht und Hoffnung. Gefühle, die heute genau so aktuell sind, wie zur Zeit ihres kurzen Lebens.


Wie entstand die Idee, die Gedichte zu vertonen?

Aus Liebe! Ich war zu der Zeit in eine junge Frau verliebt, von der ich wusste, dass sie Lyrik mag. Eine ihrer Lieblingsschriftstellerinnen war Hilde Domin, welche sich ja auf dem Umschlag von „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“ begeistert über Selmas’ Gedichte äussert. Ich habe also meiner Angebeteten das Buch geschenkt, allerdings ungelesen! Wir sind dann auch tatsächlich zusammengekommen und ich habe ihr irgendwann während eines Telefongesprächs gestanden, dass ich das Buch gar nicht gelesen hatte. Sie fand das ziemlich witzig und las mir dann am Telefon das Gedicht „Ich bin die Nacht“ vor. Da fiel es mir wie Schuppen von den Ohren: Songtext! Ich habe also angefangen, mich mit Selmas’ Gedichten zu befassen und Musik dazu zu schreiben.

In mir ist das Bedürfnis entstanden, die Gedichte dieses jungen, hochtalentierten Mädchens zu vertonen, das auf einem der wenigen erhalten gebliebenen Fotos strahlend einem Leben entgegenlacht, welches eigentlich schon vorbei war.

Als Jude haben der zweite Weltkrieg und der Holocaust seit ich denken kann eine Faszination auf mich ausgeübt. Erst als ich im Nachlass meines kürzlich verstorbenen Vaters Oscar Klein einen Brief entdeckte, begann ich zu ahnen, warum das sein könnte. Es war der letzte Brief meiner Urgrossmutter mütterlicherseits aus dem KZ Theresienstadt, kurz bevor sie umgebracht wurde. Die Eltern meines Großvaters haben sich, nachdem sie erfuhren, dass sie nach Auschwitz deportiert werden sollen, umgebracht. Mein Vater hatte darüber nie gesprochen. Er lebte übrigens die letzten zwanzig Jahre seines Lebens in Deutschland und fühlte sich da sehr wohl. Er war auch Musiker und sagte in einem Interview: „Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und rechtsextremistische Gewalt, das ist die Fratze Deutschlands, ihr Gesicht jedoch, ist die Toleranz.“


Seit wann arbeitet Ihr an dem Projekt?

Mit den Verhandlungen mit Hoffmann&Campe wegen der Vertonungsrechte, dem Kontakt zu den InterpretInnen, der Komposition, der Orchestrierung des Sinfonieorchesters und den Aufnahmen, seit gut fünf Jahren.


Die musikalische Bandbreite, die die Interpreten repräsentieren, ist unheimlich groß. Wie kam es dazu, dass Ihr so unterschiedliche Künstler angesprochen habt?

Ich habe mich intensiv durch die deutsche Gesangslandschaft gehört und eine Auswahl von InterpretInnen zusammengestellt, unabhängig von Alter, Geschlecht und davon, welche Stilrichtung sie vertreten. Dann habe ich einfach den Telefonhörer in die Hand genommen und angefangen, die ausgewählten KünstlerInnen zu kontaktieren. Sobald sie jeweils den Gedichtband gelesen hatten, wollten alle sofort mitmachen. So gesehen hat Selma sie für unser Projekt gewonnen.


Habt Ihr vorgegeben, welcher Interpret welches Gedicht vertont?

Es war fast so, als ob die Texte die Melodien gerufen hätten. Wir hatten beim Komponieren immer die Stimme der Sängerin oder des Sängers im Ohr, für die wir das Stück komponierten. Wir haben also nicht einfach für eine weibliche oder männliche Stimme komponiert, sondern für einen bestimmten Interpreten. Ich habe mich lange damit beschäftigt, wer welches Gedicht interpretieren soll und erfreulicherweise waren alle mit ihrem Text total glücklich. Nur Joy habe ich zwei Gedichte zur Auswahl gegeben und sie hat sich sofort in „Schlaflied für die Sehnsucht“ verliebt.


Wie war die Stimmung im Studio bei den Aufnahmen?

Pure Magie! Dabei ist folgendes zu bedenken: man legt einen Aufnahmetermin fest und hat dann eine bestimmte Anzahl Stunden zur Verfügung, in denen man den betreffenden Song aufnehmen muss. Nun sind wir ja alle Menschen und keine Maschinen, es hätte also durchaus passieren können, dass der Eine oder die Andere an einem bestimmten Tag gesanglich oder emotional einfach nicht disponiert gewesen wäre.

Das Gegenteil war aber der Fall. Nachdem wir uns begrüßt hatten (die meisten InterpretInnen haben wir ja im Studio das erste Mal gesehen) und ein bisschen gequatscht oder Ping-Pong gespielt hatten, haben wir angefangen aufzunehmen. Von dem Moment an war es, als hätte sich der Himmel geöffnet. Die Atmosphäre war von so viel gegenseitigem Respekt, Bewunderung und Wohlwollen geprägt, dass wir den jeweiligen Song in Rekordzeit aufgenommen hatten. Es war fast so, als ob Selma, wo immer sie jetzt auch sein mag, ihre Hand schützend über das Projekt gehalten hätte.

Diese ganz spezielle Stimmung kam auch in einer Art Ritual zum Ausdruck, das sich von Anfang an etabliert hatte. Jedes Mal, bevor ich einem der InterpretInnen das Playback startete, sagte ich: „hier kommt’s, von uns, für Dich, mit Liebe.“


Werden junge Leute, die Yvonne Catterfeld und Thomas D cool finden, euer musikalisches Universum verstehen? Ihr spielt ja nicht gerade Chartmusik...

Ganz wichtig! Ich sehe es als Aufgabe eines Künstlers, sich weiter zu entwickeln und gleichzeitig das Publikum herauszufordern, neue Hörgewohnheiten zu entwickeln. Stravinsky, Bartok und Schönberg brauchten Jahrzehnte, bis sich das Publikum nach Mozart, Bach und Beethoven an Ihre Musik gewöhnt hatte. Das geht natürlich nur, wenn das Publikum auch mit verschiedenen Arten von Musik konfrontiert wird. Leider findet das aufgrund der Formatradios und des Diktats der grossen Konzerne immer weniger statt.

Überhaupt hat das Formatradio guter Musik den Untergang bereitet. Formatradio heißt: Alle Stücke, die dort gespielt werden, müssen einer gewissen gängigen Melodik, Rhythmik und Harmonik entsprechen und sie dürfen maximal 4 Minuten lang sein.

Übertragen auf eine Kunstgalerie würde das heißen, dass nur noch Werke von 10 auf 10 cm Durchmesser und in rot ausgestellt würden oder dass in den Literaturmagazinen und- Sendungen nur noch Bücher beworben werden, die nicht mehr als 50 Seiten haben. Nicht auszudenken, was wir an Kunst und Literatur alles verpassen würden. Wenn beispielsweise die Doors mit ihren 15-minütigen Songs, Jimi Hendrix, Frank Zappa oder Janis Joplin heute auf der Musikszene erscheinen würden und versuchten, über das Radio bekannt zu werden, sie hätten keine Chance.

Wie jedoch sollen sich Jugendliche musikalisch weiterentwickeln, wenn sie am Radio und TV immer den gleichen profitorientierten Einheitsbrei serviert bekommen? Das ist wie wenn man einem Neugeborenen nur Fast Food und Süßigkeiten zu essen gibt. Viel Glück beim Versuch, ihm später beizubringen, auch Gemüse und Früchte zu essen! Populärmusik ist ja leider längst keine Kunstform mehr, sondern eine Ware, die nach pervertierten Kriterien an das Publikum verschachert wird.

Das größte Verbrechen an der Jugend sind allerdings die Castingshows. Diese Castingshows sind für mich die Pornos der Musikbranche. Jugendliche verwechseln das, was da läuft mit Musik, so wie sie aufgrund der Internetpornowelle anfangen, Porno mit Sex oder gar mit Liebe zu verwechseln. Mal ganz abgesehen davon, dass „DSDS“ - eine Sendung mit vorwiegend jugendlichem Zielpublikum - bis vor Kurzem von CAB (Cola and Beer) gesponsert wurde, und in jeder Werbepause Alkohol beworben wurde. Und das trotz der fast unlösbaren Probleme mit Jugend-Alkoholismus!

Deshalb finde ich es auch so wichtig, dass es zu der Selma CD auch das Schulprojekt „Sehnsucht nach Zukunft“ gibt (veranstaltet von step21), bei dem sich Jugendliche mit der Musik, den Gedichten und der Zeitgeschichte beschäftigen. Es ist ein Weg, sich ohne schlechtes Gewissen mit dieser Zeit auseinanderzusetzen – einfach, indem man gute Texte und gute Musik hört, die sich mit der Gefühlswelt der Jugendlichen auseinandersetzen. Sie entdecken – Mensch, da gab es vor über 60 Jahren ein 15-jähriges Mädchen, das hatte die gleichen Empfindungen wie ich. Und jetzt singen meine Idole ihre Texte!

So befassen sie sich durch Selmas Schicksal auch mit dem Holocaust. Es ist ein sehr tröstlicher Gedanke, dass die Nazis, die Selma umgebracht haben, inzwischen tot und vergessen sind. Aber die Gedichte eines jungen Mädchens haben sie nicht in die Knie gezwungen, die haben überlebt. Die Liebe hat über das Böse gesiegt!


Biographie - David Klein

David Klein, geboren in Basel und Sohn des Jazz-Musiker-Ehepaares Miriam und Oscar Klein, kommt sehr früh mit Musik und vor allem mit Jazz in Berührung. Als Jugendlicher lernt er Gitarre und ist als Freelancer tätig. Während dieser Zeit arbeitet er unter anderem mit Künstlern wie Kenny Clarke, Sir Roland Hanna, Billy Cobham und Kirk Lightsey.

1980 beginnt David Klein sein Studium am Berklee College of Music in Boston. Dort entdeckt er seine Liebe zum Saxophon, welches er sich anfangs autodidaktisch beibringt. Es folgen Studien bei Jerry Bergonzi und Karsten Gorzel.

Zurück in Europa, gründet er mit Josef Bollag das Ensemble Kolsimcha (zwischenzeitlich umbenannt in World Quintet, mittlerweile nennt man sich wieder Kolsimcha), in welchem er Schlagzeug spielte. Es folgten Konzerte in der Carnegie Hall, am Montreux Jazz Festival, an den Ludwigsburger Schlossfestspielen, am Rheingau Musikfestival, sowie Fernsehauftritte bei Harald Schmidt, Roger Willemsen und der NDR Talkshow.

Neben seiner Tätigkeit als Drummer des World Quintets absolvierte er als Saxophonist Tourneen mit der Jazz-Sängerin Dee Dee Bridgewater, war in der Neuen Musik tätig (Solist in „Maratona di Danza“ von H.W. Henze) und komponiert Filmmusik, z.B. “Gripsholm“ (mit Olivier Truan) von Oscar-Preisträger Xavier Koller, für den er Songs zu Kurt Tucholsky-Texten schreibt, welche im Film von Jasmin Tabatabai interpretiert werden.

Für den Soundtrack von „Alles auf Zucker“ von Dani Levy wurde seine Komposition „Rebbe‘s Tisch“ verwendet. Für den Soundtrack von Dani Levys „Mein Führer“, "Die wilden Hühner und das Leben" von Vivian Naefe und "Maria, ihm schmeckt's nicht" von Neele Leana Vollmar spielte er Schlagzeug beziehungsweise Saxophon (oder beides). Alle diese Soundtracks wurden komponiert von Niki Reiser.

Er schrieb die Filmmusik (mit Michael Studer) zum ZDF-Dokumentarfilm "Das Wunder von Mogadischu" über die Flugzeugentführung der Lufthansa-Maschine Landshut 1977.

Für die Solo CD des Fanta Vier Rappers Thomas DKennzeichen D“ (2008) komponierte und produzierte er den Titeltrack und Veggie-Rap „Deshalb bin ich hier“.

Mittlerweile teilt er seinen Tätigkeitsbereich zwischen seinem Projekt „Selma - In Sehnsucht eingehüllt“ mit Gastauftritten von Xavier Naidoo, Reinhard Mey, Sarah Connor, Ute Lemper, Thomas D u.v.a. und seiner Solo-CD „My Marilyn“, einer Jazz-Hommage an Marilyn Monroe, die weltweit ausgezeichnete Kritiken erntete und mit der er 2002 den European Jazz Award gewann. David Klein komponierte zusammen mit Olivier Truan die Musik für das Musical „Marilyn“, welches am 17. Juni 2006 im Staatstheater am Gärtnerplatz in München welturaufgeführt wurde.

Ausgewählte Discographie:
SELMA-IN SEHNSUCHT EINGEHÜLLT
MY MARILYN / David Klein Quintet
THE WORLD QUINTET/ World Quintet mit Herbert Grönemeyer
GRIPSHOLM / Kol Simcha mit Jasmin Tabatabai
CRAZY FREILACH / Kol Simcha
SYMPHONIC KLEZMER / Kol Simcha
CONTEMPORARY KLEZMER / Kol Simcha


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