28.11.2005 | Die deutsche Pop-Prominenz und das dichtende Mädchen

Sie gilt als die "Anne Frank der Lyrik": Selma Meerbaum-Eisinger lebte und dichtete in Czernowitz und starb 1942, 18-jährig, im deutschen Arbeitslager Michailowka. Im Krieg schrieb sie Liebesgedichte, die wegen ihrer Tiefe und jugendlichen Direktheit Eindruck machten. Der Verlag Hoffmann und Campe hat den Gedichtband jetzt neu als Hardcover und als Hörbuch mit Iris Berben veröffentlicht. Anlass ist eine Vertonung vom Schweizer Klezmer-Jazz-Ensemble "World Quintet“, eingespielt mit dem Sinfonieorchester Basel, gesungen von deutscher Pop-Prominenz.

Thomas D. singt:

"Packt Dich und hält Dich und sprudelt Dich an.
Sturzflut erfasst dich und rast mit dir fort.
Was kein Wildbach, kein Wirbel, kein Hochwasser kann,
hat dies Atmen vieltausende Mal schon getan,
dieses heiße, verzehrende, glasklare Wort."

Es klingt ganz nach dem Großmeister des rhythmischen Sprechgesangs. Doch die Verse stammen aus der Feder eines 15-jährigen Mädchens. In der Bukowina, der Heimat von Paul Celan und Rose Ausländer, schreibt Selma Meerbaum-Eisinger in den 40er Jahren ihre Liebesgedichte und übersetzt aus dem Französischen, Rumänischen und Jiddischen. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen und ihrer Deportation stirbt sie 1942 im Arbeitslager in der Ukraine. Eine jüdische Freundin rettet ihre handschriftlichen Aufzeichnungen mit dem Titel "Blütenlese" nach Israel. Diese landen über Umwege wieder in Deutschland - und nun in den Händen deutscher Popstars.

Jedem ein Lied auf den Leib geschrieben

Der Schweizer Musiker David Klein hat Künstler wie Xavier Naidoo, Yvonne Catterfeld, Ute Lemper, Inga Humpe und Stefanie Kloß von der Band Silbermond zusammengetrommelt und mit seinem World Quintet jedem ein Lied auf den Leib geschrieben. "Es ist diese Musik, wie wir sie empfinden", sagt der Initiator. "Damit sind wir vielleicht nicht krass, nicht kantig, nicht eckig, sondern einfach massentauglich. Ich habe einfach die Musik komponiert, die mir gefällt." Auch Reinhard Mey gehört zur ausgewählten Künstlerriege. "Das Alter der Künstler interessiert nicht", sagt David Klein. Was ihn begeistert, sind große Stimmen.

Sängerin Inga Humpe ist begeistert: Die Musiker und David seien so mit Freude an dieses Projekt gegangen und mit so viel Liebe und Enthusiasmus. "Das steht natürlich im Gegensatz zu dieser schrecklichen Realität von damals", sagt sie. David Klein findet es besonders wichtig, "dass Jugendliche anhand einer gleichaltrigen Protagonistin erfahren, was es heißt, wenn man einen guten Freund oder eine gute Freundin in der Schule hat, und der oder die kommt eines Tages nicht mehr. Da muss man sich fragen: Was ist los?". Pur-Sänger Hartmut Engler schlägt in die gleiche Kerbe. Er findet es äußerst bedenklich, dass die Jugendlichen heute tendenziell sagen: "Lasst uns mit der Nazischeiße, mit der ganzen Zeit in Ruhe, wir haben doch gar nichts mehr damit am Hut."

Lieder von Schönheit und Tiefe

Die Künstler, zumeist bei großen Plattenfirmen unter Vertrag, versammeln sich auf einem Album, herausgebracht bei einem kleinen Label, um genau dieser Einstellung entgegen zu wirken. Selmas Lieder singen von Schönheit und Tiefe, von jugendlicher Sehnsucht im Schatten des Nazi-Terrors. "Hier spricht kein 15-jähriges Mädchen über ihre Gefühle. Das ist Kunst", sagt Thomas D. "Wenn es soweit geht, dass sich jeder darin wiederfindet und jeder denkt: Genau." Das Produkt von fünf Jahren Arbeit mit Versen und Klängen, zwischen Verlagen und Plattenindustrie, im Studio und auf der Bühne, ist eine musikalische Hommage an Selma Meerbaum-Eisinger.

Katrin Seibold

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