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Selma – In Sehnsucht eingehüllt / Aviva-Berlin.de

30.03.2006 | 1942 starb die jüdische Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger im Alter von 18 Jahren in einem KZ. Das World Quintet hat ihre Gedichte vertont und ihr ein unvergleichliches Album gewidmet.

Allein die Gedichte der sehr jung verstorbenen jüdischen Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger lassen einem schon beim Lesen den Atem stocken. Doch nun, wo Selmas romantische, zauberhafte und zugleich sehr reife und tiefgründige Dichtkunst auch in vertonter Version vorliegt, wird die Wirkung ihrer Worte noch um ein Unendliches potenziert. Mit dem Album "Selma – In Sehnsucht eingehüllt" erweist das World Quintet, in Zusammenarbeit im dem Sinfonieorchester Basel, der Dichterin eine ganz besondere Ehre.

David Klein, Olivier Truan, Ariel Zuckermann, Daniel Fricker und Michael Heitzler sind bereits vor ein paar Jahren auf die Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger gestoßen. Angetan von der Reife und Emotionalität, aber auch von der Musikalität ihrer Gedichte, setzten sie bereits im Jahr 2003 das Gedicht Trauer musikalisch um, das damals von Herbert Grönemeyer gesungen wurde. Dieser erste Erfolg setzt sich nun mit ihrem neuen Album fort, das zwölf weitere vertonte Gedichte von Selma enthält. Gesungen und rezitiert werden sie von bekannten deutschen SängerInnen wie Sarah Connor, Xavier Naidoo, Yvonne Catterfeld, Reinhold Mey, Ute Lemper und vielen mehr.

Selma Meerbaum-Eisinger wurde 1924 in Czernowitz geboren. Bereits 18 Jahre später, am 16. Dezember 1942, nahm ihr Leben im deutschen Arbeitslager Michailowska ein grausames Ende. Doch dass Selma bis dahin gelebt, gelacht und geliebt hat, dass sie ein hochbegabtes und lebenshungriges jüdisches Mädchen war – davon berichten uns heute ihre Gedichte, die sie in den Jahren 1939 bis 1942 zum größten Teil im Konzentrationslager verfasst hat.

Genauso, wie uns die emotionale Tiefe, die Reife und Ausdruckskraft ihrer Lyrik, sowie die wunderbaren Bilder, die sie mit ihren Worten zeichnet, zum Staunen bringen, so verblüffend ist allein auch schon die Tatsache, dass ihre Werke heute noch existieren und zur Weltliteratur gezählt werden können.
Selmas 57 Gedichte, die sie vor ihrem Tod selbst noch unter dem Titel "Blütenlese" zu einem kleinen Gedichtband zusammengefasst hatte, überlebten den Krieg auf abenteuerliche Weise im Rucksack ihrer vor den Nazis nach Israel geflohenen Freundin Renée Abramovici. Nur unter Lebensgefahr konnten sie aus dem Lager hinausgeschmuggelt werden, damit sie schließlich 1980 von Jürgen Serke unter dem Titel Ich bin in Sehnsucht eingehüllt veröffentlicht und einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden konnten.

Das World Quintet, bekannt für seine schwungvollen und unkonventionellen Klezmerinterpretationen, hat sich intensiv durch die deutsche Gesangslandschaft gehört und schließlich eine facettenreiche Auswahl von Sängerinnen und Sängern, quer durch alle Generationen, getroffen, die ihre künstlerische Individualität ganz und gar überzeugend in den Dienst dieser Gedichte gestellt haben. In jedem einzelnen Stück ist zu hören, wie Selmas Lyrik die SängerInnen selbst tief berührt haben muss. So ist es ihnen gelungen, unvergessliche Lieder zu schaffen, die tief ins Herz gehen.

Mit dieser CD beweisen die Mitglieder des World Quintets einmal mehr, dass man Musik einfach nicht mit Worten beschreiben kann. Ihre Kompositionen harmonieren so sehr mit Selmas Versen, dass man annehmen könnte, sie selbst hätte die Musik in jenen Stunden verfasst. Behutsam und zurückhaltend umwehen die Klänge die zarten Reime, die durch die Stimmen der SängerInnen ihre volle Wirkung entfalten. Sarah Connor, die hier erstmals auf Deutsch singt, zeigt sich mit Das Glück einmal von einer ganz anderen musikalischen Seite, die ihr sehr gut steht. Xavier Naidoo (Spätnachmittag) und Thomas D (Stefan Zweig) setzen mit ihrem gefühlvollen und gut akzentuierten Sprechgesang einen gelungen Kontrast zu poetischen Melodien von Du, weißt Du... (Yvonne Catterfeld), Abend I (Reinhard Mey), Lied (Hartmut Engler), Schlaflied für die Sehnsucht (Joy Denalane), Regen (Volkan Baydar), Frühling (Inga Humpe), Ja (Stefanie Kloß) und Abend II (Ute Lemper). Besonders sticht, nach Ansicht der Rezensentin, jedoch die Vertonung des Gedichts Ich bin die Nacht hervor. Hier verbindet sich die ausdrucksvolle Stimme von Jasmin Tabatabai mit orientalischen Klängen.

Doch die Intention der MusikerInnen war es nicht nur, Selmas Gedichte wieder zum Leben zu erwecken, sondern auch, vor allem Jugendlichen wieder Inhalte und Werte zu vermitteln. Mit diesem Album wollen sie in einer Zeit der eskalierenden TV-Absurditäten ein unüberhörbares Zeichen gegen den Casting-Wahnsinns, Big Brother und Pisa setzen – gegen Videoclips, in denen "oft nicht mehr als Kettenraucher, Säufer und Frauen, die zu Sexualobjekten degradiert werden, zu sehen sind". David Klein ist davon überzeugt, dass "durch die Identifikation mit einer 15- jährigen Autorin, deren Texte von den bekanntesten deutschen Popstars und Liedermachern interpretiert werden, das Vertrauen von jungen Menschen in die eigene Kreativität erheblich gestärkt werden kann". Sinn und Zweck des Projektes ist es daher auch, durch diese Art der Konfrontation mit einem Einzelschicksal besonders jungen Menschen die Folgen von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass zu verdeutlichen.

Dass dieses Projekt bereits jetzt schon seine Früchte trägt, beweisen die vielen positiven Reaktionen der SchülerInnen, wie: "...was uns alle sehr beeindruckt hat, ist Eure Musik! Auch die Gedichte sehen wir nach diesem Nachmittag in einem ganz anderen Licht. Euch ist etwas gelungen, was nicht viele Leute zustande bringen. Nämlich die ganze Klasse zu begeistern und das ist keine leichte Aufgabe!" David Klein und seine Kollegen konnten im Rahmen eines Workshops an einer Schweizer Schule schließlich feststellen, dass die Jugendlichen anschließend selbst den Mut fassten, wunderbare Gedichte zu schreiben und über den Holocaust aus einer neuen Perspektive zu diskutieren. Aber auch über die Liebe, das Glück, Trauer, Angst und die Hoffnung wurde intensiv gesprochen: "Die gleichaltrige Selma hatte sie nachhaltig beeindruckt und berührt. Inspiriert von Selmas Gedichten und der einfühlsamen Musik fanden sie einen neuen Zugang zu ihren eigenen Gefühlen."

Die Macher von Selma – In Sehnsucht eingehüllt haben sich dazu entschlossen, diese CD selbst zu finanzieren und unter ihrem eigenen Label zu veröffentlichen. Damit soll gewährleistet werden, dass diese Musik und Selmas Gedichte stets als Kunstform erhalten bleibt und nicht als Ware verkommt. Zudem war es dem World Quintet wichtig, die künstlerische und inhaltliche Kontrolle über das Projekt zu behalten.

Zuletzt sei auch auf das wunderschön gestaltete Booklet der CD hingewiesen, die neben den Texten auch Selmas Geschichte und einen Brief ihrer in Israel lebenden Freundin Margit Bartfeld-Feller enthält. In diesem geben die MusikerInnen ihren HörerInnen auch den folgenden Satz mit auf den Weg: Lebt, liebt und gebt nie auf!

Parallel zur aktuellen CD ist bei Hoffmann & Campe eine gebundene Jubiläumsausgabe erschienen. Außerdem ist ein von Iris Berben gelesenes Hörbuch im Handel erhältlich.

AVIVA-Tipp: Mit "Selma – In Sehnsucht eingehüllt" hat das World Quintet ein überaus brillantes Album auf den Markt gebracht. Unvergleichbar schöne Kompositionen wurden den ebenso sehnsuchtsvollen, traurigen wie auch lebendigen und vor Lieben und Hoffnung strotzenden Gedichten der jüdischen Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger mit großer Sorgfalt zugrunde gelegt. Zwölf Gedichte, die von zwölf ganz verschiedenen deutschen SängerInnen individuell interpretiert werden, sind hier zu einem einzigartigen musikalischen Poesiealbum zusammengefasst worden, das Selmas Gefühle auch lange nach ihrem Tod wieder lebendig werden lässt.

Zum World Quintet:
Der unnachahmliche Sound des World Quintets (ehemals "Kol Simcha") fesselt seit der Ensemblegründung das Publikum sowohl der New Yorker Carnegie Hall als auch das der renommiertesten Jazz-, Klassik- und Weltmusikfestivals auf drei Kontinenten. Mit ihrer ganz persönlichen Musiksprache und ihrer mitreißenden Spielfreude und Virtuosität, schaffen die "Fantastischen Fünf" (Die Welt) in ihren Konzerten eine einzigartige Atmosphäre.
Neben ihrer Konzerttätigkeit hat das World Quintet die Musik für zahlreiche Theater- Tanz- und Filmproduktionen komponiert. Nachdem sie bereits Teile der Filmmusik zu Caroline Links Oscar-nominierten Drama "Jenseits der Stille" eingespielt hatten, schrieben sie den gesamten Soundtrack für Oscargewinner Xavier Kollers Film "Gripsholm" und schufen eine Reihe von Neuvertonungen von Kurt Tucholsky-Texten für die Hauptdarstellerin und Sängerin Jasmin Tabatabai, mit der das Ensemble auch im Film auftrat.

Sarah Ross

http://www.aviva-berlin.de


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